Nicht selten entwickelt sich das französische Zivilprozessrecht in rasanter Geschwindigkeit weiter. Erst Ende April 2023 hat der französische Justizminister seine Politik der einvernehmlichen Streitbeilegung (politique de l´amiable) gestartet. Das Décret n° 2023-686 vom 29. Juli 2023 führt nun mit Wirkung für ab dem 1. November 2023 neu eingeleitete Verfahren zwei neue Instrumente der einvernehmlichen Streitbeilegung in das französische Zivilprozessrecht ein:
- Audience de règlement amiable: In den Art. 774-1 ff. der französischen ZPO (Code de procédure civile) finden sich Vorschriften zu einer neuen Phase der einvernehmlichen Streitbeilegung. Die Machart dieser Streitbeilegungsform erinnert an das deutsche Güterichterverfahren des § 278 Abs. 5 ZPO. Die Besonderheit der audience de règlement amiable besteht darin, dass der Versuch der einvernehmlichen Streitbeilegung vor einem nicht zur Entscheidung über die Rechtssache berufenen Richter stattfindet, an den das erkennende Gericht verweisen kann.
- Césure du procès: Die sog. césure du procès (Art. 807-1 ff. CPC) ermöglicht künftig die Abschichtung des Streitstoffes. Die Vorschriften ähneln denen den deutschen Bestimmungen über Teil-/Zwischen- oder Grundurteile (§§ 301 ff. ZPO), weisen aber keine derart engen Voraussetzungen auf. Ausreichend für die césure ist, dass die Parteien per Anwaltsschreiben einvernehmlich ein Urteil über einen abgrenzbaren Teil des Anspruchs beantragen können. Die von den Parteien abgeschichteten Teile des Streitstoffes werden dann von der Beweiserhebung ausgenommen und unmittelbar durch mittels Berufung anfechtbares Urteil entschieden. Die Beschleunigung des Berufungsverfahrens nach Art. 905 CPC findet auch auf die césure du procès Anwendung.
Es bleibt abzuwarten, wie sich diese neuen Möglichkeiten ab 1. November 2023 in der französischen Gerichtspraxis bewähren.